Gestern Sonntagmorgen habe in der Gemeinschaftsküche meines Hostels in Belgrad noch mein Joghurt gegessen und mir einen Tee dazu gekocht. Vorgestern Abend hatte es sogar Wasser im Badezimmer und ich konnte die "Dusche" noch nutzen...
Dann habe ich mich also auf den Weg gemacht, Belgrad in Richtung Sofia zu verlassen. Mein Weg führte mich am Café vorbei, in welchem ich am Samstag mein Tagebuch und den Brief geschrieben habe. Es hatte schon geöffnet und so "musste" ich halt noch einen Cappuccino-Halt einlegen. Der Wirt hat mich auch im Velodress sofort erkannt und gefragt: "Cappuccino?" - WOW, da habe ich mir ja ein Stück Heimat geschaffen...
Dann habe ich mich definitiv auf's Rad geschwungen und bin losgefahren. Wenig Verkehr, eine grössere Baustelle. Habe den Weg problemlos gefunden, dank der guten Beschreibung der Managerin des
Hostels und dem Stadtplan von Belgrad. Habe mich 2-3x erkundigt, ob ich auf der richtigen Route sei, insbesondere nach grösseren Kreuzungen. Alles OK!
Kurz vor Avala habe ich eine Gruppe Velofahrer erstmals angetroffen. Diese waren mit Rennrädern und Mountainbikes unterwegs. Eine kurze Begrüssung - und sie fuhren ihr Tempo und ich meines. Wir
haben uns im Verlauf des Tages dann immer wieder getroffen, wenn sie Pause machten oder aufeinander warteten oder wenn ich Pause machte. So fuhr ich fröhlich und zufrieden Richtung Mladenovac,
Smed. Palanka. Der Wind kam mal wieder von vorne. Die Strasse war OK und der Verkehr wenig und sehr rücksichtsvoll. Zwei Rennradfahrer überholten mich - der eine winkte ganz aufgeregt und
rief : "Cancellara!!" - er hat offensichtlich mein Schweizer Fähnchen bemerkt...
Ich staune, dass "dr Fäbu" auch in Serbien bekannt ist, lache, winke zurück und rufe "genou!". Witzig, solche kurzen Begegnungen!
Auffällig, dass in Serbien die Rennvelofahrer ("Gümmeler", wie sie in der Schweiz genannt werden) auch Tourenfahrer grüssen. Das ist in der Schweiz nicht wirklich üblich. Gümmeler und Tourenfahrer sind zwei unterschiedliche Kategorien. Hier in Serbien freuen sich aber alle Velofahrer, andere Velofahrer zu kreuzen oder zu überholen - ein kurzes Winken ist garantiert!
Ich rollte gut voran. Ca. 15 Kilometer vor Velika Plana habe ich die Karte nochmals studiert und vor mir stand die Gruppe Velofahrer, die mich seit Ausgangs Belgrad "begleitet" hat. Einer aus dieser Gruppe dieser Velofahrer kam auf mich zu und sprach mich in perfektem Deutsch an. Er habe einige Jahre in Deutschland gelebt. Wohin ich denn wolle?
Zeige ihm auf der Karte meine Route und frage ihn, ob es in Velika Plana oder Umgebung einen Campingplatz geben würde. Er verneint. ABER: Sein Onkel habe am Fluss ausserhalb Velika Plana ein Häuschen, da könne ich problemlos campieren. Er ruft seinen Onkel gleich mal an, dieser bestätigt, dass ich dort campen dürfe. Kein Problem!! Scheint die logischte Sache der Welt zu sein!!
Der Velofahrer meint, er wohne in Velika Plana, er fahre gleich mit mir dahin. Kaum gemeinsam unterwegs fragt er mich, ob ich nicht noch zu ihm kommen und etwas essen möchte. Er könnte etwas bestellen. Ich bedanke mich für die Einladung und erkläre, dass ich das bestellte Essen dann aber bezahlen möchte. Er meint, das komme gar nicht in Frage! So fahren wir ca. 15 Kilometer nach Velika Plana. Er gibt Gas, weil er meint, er sei zu langsam für mich - ich trete in die Pedale, weil ich meine, ich sei zu langsam für ihn... So wird die Fahrt nach Velika Plana für mich doch recht anstrengend mit meinem Gepäck.
Er ruft von unterwegs seine Frau an, dass er einen Gast zum Essen bringe.
Unterwegs plaudern wir - soweit es mir die Puste erlaubt - zusammen. Er stellt sich als Nikola vor. Je näher wir Velika Plana kommen, je mehr Leute grüsst er auf der Strasse bzw. wird er gegrüsst. Vielen erklärt er, ich sei ein Schweizer Fahrradtourist, der nach Singapur fahren wolle...
Dann erreichen wir sein schmuckes Haus mit gepflegtem Vorgarten. Seine Frau Jasmina begrüsst uns und seine 6jährige Tochter ist auch da. Auf der Terrasse gibts erst mal ein Bier (für mich nur ein Glas - mehr würde mir direkt zu Kopf steigen...). Beim Bier erkläre ich ihm, mit seinem Tempo habe er mich auf den letzten Kilometern nun aber echt gefordert, ja fast "gefoltert" - er lacht und meint, er hätte nicht zu langsam sein wollen für mich... Witzig...
Auf seinem 29-Zoll-Mountainbike hat er heute auch über 100 Km hingelegt und das mit einem Schnitt von ca. 27 km/h - man ist der fit, der Junge!!
Dann darf ich mich an den wunderbar gedeckten Tisch setzen:
Eintopf von weissen Bohnen, Paprikaeintopf mit Huhn und viel leckerem Gemüse, Salat, Brot, Käse, geschnittenes Fleisch, Radieschen aus dem Garten des Schwiegervaters - eine wirklich wunderbare, bunte und reiche Tafel. Alles schmeckt EXTREM LECKER!! VIELEN HERZLICHEN DANK!!
Im TV läuft das Tennis-Finale aus Monte Carlo. Novak Djokovic spielt. Da ist klar, dass Serbien TV schaut - richtig so! Ich helfe gerne mit. Roger Federer ist - was ich mitbekommen habe - ja bereits früh ausgeschieden. Das Finale wird dann leider wegen Regen unterbrochen.
Nach dem Essen tischt Jasmina noch Café und Gebäck auf. HERRLICH! TAUSEND DANK! WUNDERBAR, so liebevoll umsorgt zu werden - wo wir uns doch gar nicht kennen...
Nikola kontaktiert über Facebook eine Serbin, die aktuell in Indonesien reist und schreibt ihr von unserer Begegnung. Schon bin ich mit einer Reisenden mehr vernetzt. Sie meint, wenn ich mich spute, könnten wir uns in Indonesien noch treffen - ha, dahin habe ich schon noch einige Wochen, Monate...
Im Gespräch mit Nikola erfahre ich viel über Serbien und das Leben in diesem Land. Zum Beispiel, dass Supermarktketten aus Kroatien nach Serbien drängen und kroatische Agrarprodukte verkauften. Serbische Bauern hätten daher Mühe, ihre Produkte gut verkaufen zu können. Das sei schwierig! Der Monatslohn in Serbien liege so bei 200 bis 300 Euro im Monat. Da müsse man sich organisieren. Ja, das stelle ich mir nicht einfach vor!! Nikola und seine Frau machen auf mich aber durchaus den Eindruck, dass sie sich zu organisieren wissen. Mag ich ihnen von Herzen gönnen!!
Der Besuch bei Nikola daheim neigt sich dem Ende zu. Er bringt mich zum ca. 13 Kilometer entfernten Platz am Flus, der seinem Onkel gehört. Dort angekommen stelle ich mal mein Zelt unter dem Vordach auf und verwechsle doch gleich auch noch eine Zeltstange, muss umstecken - schlussendlich ist alles OK. Nikola ruft seinen Onkel an und sagt ihm, dass wir da sind, er solle doch auch noch vorbeikommen und Bier mitbringen. Wenig später fährt der Onkel vor, hat Bier dabei und Kuchen für mich. La Bamba, wie der Spitzname des Onkels lautet, spricht auch sehr gut Deutsch. Auch er hat einige Jahr in Deutschland gearbeitet. In einem Lokal, das La Bamba hiess - daher der Spitzname.
La Bamba meint, ich könne auch im Häuschen übernachten. Das wird ja immer komfortabler für mich! Er entfernt die Einbruchsicherung, öffnet mir das Häuschen, zeigt wo alles ist (insbesondere Wein- und Schnapslager) und mir wird klar, dass ich mein Zelt wieder einpacken und im Häuschen übernachten werde.
Wir trinken noch einen Schlummerbecher, ich höre Geschichten aus dem Leben von La Bamba und Nikola. Gegen 20 Uhr verlassen sie mich. La Bamba sagt, ich solle am Morgen einfach das Häuschen mit dem Schlüssel schliessen und zeigt mir, wo ich den Schlüssel verstecken soll. Er komme dann am Morgen, um den Rest fertig zu machen (also Einbruchschutz wieder montieren).
NUN FRAGE ICH EUCH LIEBE SCHWEIZERINNEN UND SCHWEIZER:
Wer von uns lädt einen serbischen Velofahrer von der Strasse weg zu sich zum Nachtessen ein und/oder überlässt ihm sein Weekendhäuschen/seine Fischerhütte am Fluss einfach so und bringt ihm noch Kuchen mit??
Das ist doch ganz einfach wunderbar gelebte Gastfreundschaft. TAUSEND DANK NIKOLA, JASMINA UND LA BAMBA!!
Das Häuschen wird übrigens von zwei Hunden bewacht. Die realisieren schnell, dass ich nun dazu gehöre und legen sich vor dem Haus hin, während ich mir drinnen mein Nachtlager einrichte. Zum Einschlafen habe ich etwas Mühe, liegt das Häuschen doch sehr abgelegen am Fluss - und die Hunde knurren und bellen immer wieder, so dass ich mich frage, ob da jemand ums Haus schleicht... Mir fällt das "Nepal Thesi" ein, die gesagt hat, sie hätte beim wilden campen jeweils Geräusche gehört, die es wohl gar nicht gegeben habe. "So geht es mir sicher jetzt auch", rede ich mir ein, stöpsle mir meine Musik in die Ohren und finde langsam den Schlaf...
Mein Schlafsack und meine Iosmatte bewähren sich. Die Nacht ist merklich kühl - am Abend waren es noch 11 Grad - nun noch weniger... Das merke ich, als ich mal raus muss (im wahrsten Sinne des Wortes...). Die Hunde sind da, freuen sich, mich zu sehen - ich gehe wieder schlafen...
Um 08.00 Uhr klingelt der Wecker und ich pelle mich definitiv aus meinem Schlafsack. Draussen scheint die Sonne und an den sonnigen Stellen ist es auch merklich wärmer. Somit alles Gepäck raus an die Sonne, Morgenkatzenwäsche an der Sonne, Velokleider anziehen und packen. Zum Frühstück esse ich den leckeren Kuchen, den mir La Bamba gestern Abend mitgebracht hat. Die Hunde betteln - und bekommen auch je ein halbes Stückchen...
Das Häuschen liegt zwar am Fluss Morava - dem längsten/grössten Fluss Serbiens, der in Serbien entspringt, fliesst später in die Donau - im Fluss baden ist aber nicht angezeigt. Der Fluss ist voller Wirbel und vor dem Häuschen soll er 10 Meter tief sein. Baden sei hier viel zu gefährlich, hat La Bamba mir erklärt. So gibts eben trotz fliessend Wasser vor dem Haus nur ne Katzenwäsche...
Gegen 0900 Uhr fahre ich ab. In Velika Plana finde ich eine schöne Cafeteria, direkt an der Hauptstrasse, davon aber durch einen breiten und belebten Gehweg getrennt. Gönne mir - wie könnte es anders sein - Cappuccino, beobachte das Treiben auf dem Gehweg...
In der Cafeteria werde ich von anderen Gästen - ausschliesslich Männer - gefragt, woher-wohin. Ich erkläre es ihnen, so gut es sprachlich funktioniert. Aber Schweiz - Sofia - Istanbul - Singapur verstehen sie. Rufen Bravo - einer applaudiert. Nun, ich bin ja noch nicht in Sofia und noch nicht in Istanbul und schon gar noch nicht in Singapur. Aber auf dem Weg...
Ich rolle weiter Richtung Nis. Unterwegs gönne ich mir heute mal wieder ein "richtiges" Zimmer, nachdem ich die letzten Tage/Wochen meistens in Massenschlägen oder einfachen Unterkünften mit Etagenduschen gewohnt habe. So alle paar Tage ein eigenes Badezimmer, in welchem ich auch auch meine Wäsche "anständig" machen kann, leiste ich mir, solange mein Budget reicht und die Infrastruktur vorhanden ist.
Für meine Velosocken habe ich nämlich - so gestern Abend bemerkt - langsam ein ärztliches Rezept gebraucht, weil die narkotisierend auf mich wirkten, so haben die gestunken!! Nach der Handwäsche sind die wohl nicht sauber - stinken dafür nicht mehr - riechen nur noch...
Ich bin nach wie vor gut unterwegs und freue mich an der serbischen Gastfreundschaft von gestern Abend. Ich freue mich aber auch an den vielen netten Menschen hier auf der Strasse in Serbien. In den Dörfern. Die Menschen winken. Autofahrer hupen, wenn sie mich überholt haben und winken. Viele Lastwagen hupen kurz, bevor sie zum Überholmanöver ansetzen - so weiss ich, dass sie mich nun überholen und weiche einem Schlagloch nicht nach links aus - klug! Wenn ich nach grossen Kreuzungen jemanden frage, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin, wird ausführlich erklärt - leider verstehe ich dann jeweils nur die Zeichensprache. Aber man nimmt sich Zeit und gibt sich Mühe, mich zu unterstützen - das finde ich einfach nur wunderbar!!
Heute vor dem Mittag habe ich mich z.B. am Strassenrand auf eine Bank gesetzt und habe in meiner Wasserflasche meine Vitamintabletten vergehen lassen, mit welchen ich das Wasser aromatisiere, damit ich möglichst viel trinke. Da kam eine Anwohnerin und hat gwundrig mit mir geplaudert - ich habe sie zwar nicht wirklich verstanden. Aber soviel schon: Woher-Wohin? Sie meinte schliesslich "Super" und deutete ich soll doch bei ihr im Haus trinken. Das habe ich dann schweren Herzens abgelehnt, weil ich wollte/"musste" doch weiter - das ist ein Dilemma...
Kurz und gut liebe Bolgleserinnen und Bologneser: Es geht mir gut, ich bin fröhlich unterwegs, Passpartu rollt gut und ich steuere weiterhin in Richtung Sofia - Istanbul und geniesse das landschaftlich schöne Serbien und die hilfsbereiten Menschen. Wunderbar!
Liebe Grüsse in die Welt hinaus!!
Herzlich
Patrik
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Barbara (Montag, 20 April 2015 18:33)
Lieber Patrik!
Jetzt bist du voll drin im Fahren und Reisen, und ich bekomme beim Lesen richtig das Fernweh, es reisst mich mit und ich freue mich, wenn wir dann auch endlich losfahren können! Aber eben, wir sind noch voll in den Vorbereitungen und so langsam stresst es mich, obwohl wir ja noch drei! Monate Zeit haben. das kennst du ja!
Wir wünschen dir weiterhin gute Fahrt und ganz viele so coole Begegnungen wie du in den letzten Tagen hattest! Barbara und Martin
Nikola Simić (Montag, 20 April 2015 18:52)
Šatrik, war nett dich kennenzulernen und diese kleinigkeit fuer dich zu tuen. Schlisslich kommst du ja aus dehm lande dess zweit besten tenis spielers :) Meine rechtschreibfehler sind gross aber ist ja auch egal. Gute fahrt und ruecjenwind. Ich beneide deine freiheit!!! Gruss an deine Familie und wirklich. Sehr netter mensch bist du mein freund
Nepal Thesi ;) (Montag, 20 April 2015 19:21)
Heyhou lieber Patrik! WUNDERBAR was Du mit Nikola's Familie erlebt hast...genau DAS ist es, was Dir immer bleiben wird! Du findest wahre Freunde die zwar Meilenweit entfernt sind, aber im Herzen seit ihr euch stets ganz nah! Ich kann Dir gut nachfühlen was da in einsamen Nächten abgeht, besonders im Gehör und in den Gedanken...aber Du machst das tiptop -> zwei Wachhunde und guter Sound, des passt! ;) Also lieber Patrik, strample immer Richtung Osten, häb Dir fest sorg, und wie Nikola sagt: Geniesse die Freiheit! ich denk an Dich, e Drücker vom Oberland, z Nepal Thesi hahaha
Ka. (Dienstag, 21 April 2015 00:27)
Super wie du vorwärts kommst ...
Als mth u ich am letzten samstag über zagreb flogen dachten wir dass du da unten irgendwo am strampeln bist.....
Ja Iran war eine eindrückliche reise... Nein keine touri-tour...wir waren so bei vielen lieben menschen zu gast...nie erlebte ich so etwas zuvor!
Lieber Patrick weiter so gell .... Guet nacht ka.