Hier dürfen offenbar alle auf die Autobahn - inkl. Velo. Fussgänger habe ich gesehen. Velo war ich das einzige. Pferdefuhrwerk und Traktor habe ich nicht gesehen - aber Pferdemist auf dem Pannenstreifen - also muss da auch ein Pferd gewesen sein... Darum erstaunt es offenbar auch niemanden, dass da ein spinniger Velofahrer auf dem Pannenstreifen unterwegs ist. Man winkt mir sogar von der Gegenfahrbahn zu, hupt und hat ein kleines Fest mit mir - ich winke gerne zurück - Hupe habe ich ja keine...
So, da bin ich wieder – hatte letzte Nacht kein WiFi – dafür Hagel und Regen - im Zelt übernachtet. Doch alles der Reihe nach...
Ich schätze mich ja glücklich, dass ich vorgestern Abend ein günstiges 3-Bett-Zimmer gefunden habe, und dieses sogar noch auf der von der Strasse abgewandten Seite lag. Da hatte ich aber noch nicht realisiert, dass die Eisenbahn auf der Seite verläuft, zu der mein Zimmer lag. So hatte ich die ganz Nacht das Gehupe der Loks und den Rangierverkehr. Habe dennoch einigermassen geschlafen und um 08.30 Uhr das erste Frühstück auf türkischem Boden genossen. Verschiedene Käse, Gurken, Tomaten, ein min. 30 Minuten Ei, Brot, Butter, Marmelade – und alles wunderschön angerichtet auf meinem Teller. Und dazu natürlich Chai! So starte ich doch gerne in meinen ersten Tag in der Türkei!!
Seit gestern Abend war ich im Zweifel, welche Route ich nehmen soll – die alte Strasse oder den Versuch wagen, auf der Autobahn zu fahren... Hm – bis Edirne hat es eh nur die eine Strasse und da kann ich dann mal schauen, wie der Verkehr hier in der Türkei so verkehrt... Mein Ziel ist es ja nach wie vor, am 01. Mai 2015 in Instanbul anzukommen. Das hat sich einfach so in meinem Hirn eingebrannt – dazu später mehr...
Tja, es wurde dann knapp 10 Uhr, bis ich endlich losgefahren bin. Nach einigen 100 Meter stoppten mich zwei LKW Fahrer. Zwei Serben. Einer sprach ausgezeichnet Deutsch und wollte wissen Wohin-Woher-Wieso-Wie finanziert... Habe ihnen von meinem Projekt etwas erzählt und dass ich dafür halt in der Schweiz nun mal alles aufgegeben habe – das stiess auf wenig bis kein Verständnis, auch wenn sie mir im positiven Sinn versicherten, ich hätte eine schöne und spannende Route ausgewählt., beide haben die Länder auf meiner Route selber schon befahren!
Sie empfehlen DRINGEND mit dem Velo auf der Autobahn zu fahren. Die alte Strasse sei voller Verkehr – Fernverkehr und dazu komme der lokale Verkehr! Sie erklären, dass sich viel Fernverkehr über die alte Strasse dränge, der Belag schlecht und die Strasse eng sei. Für Velofahrer gefährlich. Der Fernverkehr dränge sich über die alte Strasse, da die Autobahn koste... Hm – was jetzt. Eigentlich habe ich keine Lust, Autobahn zufahren – und doch will ich vorwärts kommen. Ich will am 01.05.2015 in Istanbul eintreffen – das ist, wie bereits erwähnt, einfach so eine fixe Idee – ich weiss...
Die Fernfahrer versichern mir, dass ich auf die Autobahn darf mit dem Velo – und: Ich könne bis Istanbul immer wunderbar auf dem Pannenstreifen fahren, hätte besten Asphalt und keine Schlaglöcher und sei nie in Gefahr!! Und ja, es habe auch Raststätten – solche mit Benzin, die hiessen Services Alani und solche ohne Benzin, die hiessen Park Alani. Nun Benzin brauche ich ja keines...
OK – ich entscheide mich auf dem Weg nach Edirne, die Stadt auf der Autobahn zu umfahren. Ob das ein Fehler war oder nicht, werde ich wohl nie erfahren. Hinter Edirne kommt dann die Zahlstation für die Autobahn. Ein Uniformierter dirigiert die Autos durch und ich befürchte, der lasse mich nicht auf die Autobahn. Er ignoriert mich, als ich anrolle. Ich frage ihn, ob es OK sei, wenn ich mit dem Fahrrad über die Autobahn nach Istanbul wolle. Er meint nur „Go, go, go“ und zeigt in die Richtung, die ich fahren muss. Na dann... Auf die Plätze, fertig, los... Und dann kommt auch schon ein Hinweisschild, welches mich in meinem Vorhaben bekräftigt...
Da rolle ich also auf dem Pannenstreifen flott voran und denke schon, dass ich heute wohl einen ganz langweiligen Tag erleben werde. Es ist auch etwas trostlos auf dem Pannenstreifen, auch wenn ich links und rechts der Autobahn schöne Landschaften an mir vorbeiziehen sehe. Um die Trostlosigkeit etwas zu reduzieren, stöpsle ich mir meine Musik in die Ohren. Das mag jetzt alles kriminell tönen – ist es aber in keiner Weise, weil ich sooo schlechte Musik nun auch wieder nicht höre und es wirklich herzlich wenig Verkehr hat auf der Autobahn. Ich staune. Wo sind all die Lastwagen geblieben – auf der alten Strasse? Wohl schon!! Da haben mir die zwei Fernfahrer wohl wirklich einen guten Ratschlag erteilt.
Die Türkei ist für mich eh ein „Transitland“ auf meiner Reise – ich werde ihr damit in keiner Weise gerecht, ich weiss!! Mein Ziel ist, so schnell wie möglich nach Istanbul zu gelangen in der Hoffnung, mein Pass mit dem ersten Visa komme auch bald dahin und ich könne dann dort möglichst viele der weiteren Visa besorgen. Daher ist mir Istanbul so wichtig. Den Rest des Landes werde ich dann – je nach Verlauf der Visagechichten in Istanbul – mit Velo, Zug und/oder Bus bewältigen müssen. Das habe ich mal so vorgesehen und bin mir sicher, dass ich die Türkei dann später – vielleicht auf meinem Heimweg – genauer bereisen werde. Das ist nun mal meine Planung – Blogleser mögen das verstehen oder nicht. Diese Entscheid hängt eben auch damit zusammen, dass ich erst Anfang April gestartet bin – um die Türkei selber zu durchfahren und dann den Pamir rechtzeitig zu erreichen, hätte ich eben schon Anfang März gehen müssen. Dieser Monat fehlt mir nun halt – und den muss ich „aufholen“.
Ich radle also mit Musik in den Ohren über den Pannenstreifen und beabsichtige bis Lüleburgaz zu fahren. Denn von dort aus sind es keine 150 Km mehr bis nach Istanbul. Am Donnerstag dann nochmals 100 Kilometer und ich habe am Freitag nur noch 50 Kilometer bis Istanbul zzgl. Einfahrt in die Stadt. Das meine Planung.
15 Kilometer vor Lüleburgaz kommt nochmals ein Park Alani – also eine Raststätte ohne Benzin. Ich will da nochmals Chai trinken und eine Kleinigkeit essen. Ich komme völlig verschwitzt an und will mir zuerst die Hände waschen und den Kopf unter den Wasserhahn strecken. Bei den Waschbecken steht ein Fernfahrer, der sich grad Rassierschaum ins Gesicht schmiert. Ich greife zum Seifenspender – der ist leer. So wasche ich meine Hände Halt ohne Seife. Für mich nicht wirklich ein Problem. Der Der Fernfahrer neben mir zaubert aus seinem Kulturbeutel seinen Seifenblock, wäscht ihn sorgfältig unter seinem Wasserhahn und reicht ihn mir rüber! Hallo? Bin grad etwas überrumpelt, dass man seine Seife einem wildfremden Velofahrer offeriert – will aber nicht ablehnen... Meine Seife ist Deine Seife, Kamerad der Landstrasse. Herzallerliebst!
Dann zum Restaurant. Da sitzen 5 Männer in Anzügen und beäugen Passpartu. Als sie mich sehen geht die Diskussion über mein Projekt los. Das obligate Woher-Wohin-Wieso. Einer spricht besonders gut Englisch und übersetzt für die andern, er stellt sich mir später als Onur vor. Ich frage, ob sie wüssten, was das Wetter mache. Onur schaut auf seinem Smartphone nach und erklärt, dass es in den nächsten drei Stunden hier regnen werde – nach Mitternacht werde es dann aufhören und am Donnerstag sei es dann wieder OK! Hoppla, dann muss ich nun entweder weiter nach Lüleburgaz oder ich schlage hier das Zelt auf. Ich frage Onur, ob ich hier wohl zelten dürfe. Er meint, wohl eher nicht - aber er frage mal das Wirtepaar, das leider nur türkisch spricht. Die willigen nach kurzem Austausch ein. Der Wirt deutet mir, ich solle das Zelt aufstellen, wo ich wolle. Die Wirtin interveniert. Sie will, dass ich das Zelt vor einem bestimmten Fenster der Gaststubeaufstelle – dann hätten sie das im Blick und ich sei sicher. So fürsorglich! Ich plaudere noch einige Zeit mit den Gescäftsleuten und lese die SMS des heutigen Tages – und erfahre, dass ich mein ersehntes erstes Visum bekommen habe, der Pass in der Schweiz unterwegs zu meinem Backoffice sei. Jupidu Das muss ich den Geschäftsleuten grad freudig mitteilen und die freuen sich mit mir!! Dann verabschieden sie sich von mir. Onur drückt mir seine Visitenkarte in die Finger und sagt, wann immer ich in der Trükei Probleme oder Fragen haben sollte, soll ich ihn anrufen. Er ist für einen türkischen Mobilfunkanbieter tätig. Nein! Nicht für einen: Für den BESTEN! Wir prüfen dann grad, ob mein Handy sein Netz erkennt – seither bin ich auf Turkcell eingeloggt J. Er rät mir, in Istanbul eine türkische SIM-Karte zu kaufen, das sei sicher billier als Swisscom – und nun dürft ihr raten, welchen Anbieter er empfiehlt... Onurs Geste freut mich sehr!! Ich bin aber grad so perplex, dass ich völlig vergesse, ihm eine kirtap.ch Visitenkarte zu geben – ich nenne ihm aber meinen Namen und dann gibt es noch ein Winkewinke zum Abschied, als sie mit ihren Autos in Richtung Istanbul abfahren – nicht ohne mir zu sagen, ich soll bei der Einfahrt nach Istanbul die Autos gut im Auge behalten. Die wären sich Velofahrer nämlich nicht gewohnt und könnten mich leicht übersehen. Aber nein, es sei kein Problem mit dem Velo zum Taksimplatz zu kommen! Einfach immer rechts auf der Fahrspur bleiben. Alles klar.
Heute habe ich Onur eine E-Mail geschickt und sofort eine freundliche Antwort erhalten – wiederum mit der Einladung anzurufen, wenn was sei. Danke Onur!!
Dann fange ich an Passpartu abzuladen und mein Zelt aufzustellen. Das Zelt steht noch nicht, da fängt es tatsächlich an zu regnen, deutlicch schneller, als Onurs App vorhergesagt hat. Der Wirt eilt mir zur Hilfe, bietet mir sofort eine Zigarette an, die ich leider ablehnen muss...
Das Zelt steht, der Regen strömt, Passpartu wird unter dem Vordach des Restaurants geparkt und ich grüble mal meine zivilen Kleider aus den Packtaschen und meine Faltschüssel aus der Küchentasche. Mit dieser will ich mich in der Toilette der Raststätte mit Wasser übergiessen und so „duschen“. Die Toiletten hier haben nämlich jede einen Wasserhahn und einen kleinen Kübel – dafür kein Papier. Dafür nutzt man dann eben die linke Hand und das Wasser – quasi ein analoger Closomat... Und aus diesem Wasserhan will ich mich mit Hilfe meiner Faltschüssel eben „duschen“, das Wasser ist ja sauber!! Der Wirt durchschaut meinen Plan offenbar und deutet mir, ob ich duschen möchte. Ich bestätige und er schliesst mir die Behindertentoilette auf, in welcher nebst viel Gerümpel eine „Dusche“ eingerichtet. Wow!! Und es gibt sogar warmes Wasser. OK, das alles hätte man vor Ewigkeiten vielleicht schon einmal putzen sollen – aber mit Flipflops geht das perfekt – so komme ich völlig unerwartet zu einer wunderbar erfrischenden Dusche! Froh zu sein bedarf es wenig...!
Der Regen hat aufeghört, ich kann meine Velokleider trocknen lassen. Nein, die habe ich nicht gewaschen, weil das Lavabo deutlich schmutziger war, als meine Kleider... Ich lasse einfach den heutigen Schweiss trocknen, damit ich morgen Früh nicht in nasse Kleider steigen muss. Die Velokleider sind nach einigen hundert Meter ja so oder so verschwitzt – da kommt es auch nicht darauf an, wenn ich diese ungewaschen anziehe. So nutze ich die Regenpause, meine Kleider inkl. Duschtuch an die fix installierte Leine zwischen den Bäumen zu hängen.
So setze ich mich zu den andere Gästen, trinke Chai, verschicke meine SMS und schreibe von Hand Tagebuch – mein MacBook will ich hier nicht auspacken, das wäre unpassend. Und dann werden wir völlig unerwartet von einem veritablen Hagelsturm heimgesucht – potz heitere! Alle Gäste flüchten ins Restaurant ich kann noch schnell meine Kleider von der Leine nehmen – der Hagel lässt die Wiese zum Teil völlig weiss werden... Mein Zelt erlebt grad die Feuertaufe – zum Glück habe ich es wegen der streunenden Hunde vorher schon zugemacht... Der Regen lässt nach meinem Abendessen nach. Ich bekomme Fleisch in Sauce serviert – weiss nicht, was es ist. Kein Schweinfleisch, gehe ich mal davon aus – nach den vielen Knochen könnte es Kanninchen sein. Wie auch immer: Es schmeckt. Dazu noch gegrilltes Gemüse, einenChai und eine Cola. Und um 19.40 Lokalzeit bin ich im Zelt und sortiere meine Haushaltung und frage mich, wie Hillebergs dazu kommen, mein Zelt als 2-Personenzelt zu deklarieren. Die haben dabei wohl an zwei Frischverliebte ohne Gepäck gedacht. Es ist schon eng mit meinem Grümpel, den ich vor dem Regen schützen will...
So habe ich heute doch noch einen lustigen Tag verbracht – unerwartet. Und ich schlafe zum ersten Mal im Zelt ;-) wurde auch Zeit!! Und das erst noch im Regen. So eine richtige Feuertaufe eben... Vorher tippe ich meine Gedanken zum heutigen Tag aber noch in mein MacBook, damit ich sie beim nächsten WiFi Kontakt dann einfach hochladen kann...
Ach ja, ich bezahle für alle Konsumationen etc. schlussendlich 42 Türkische Lira – das sind umgerechnet um die 18 Franken. Mehr als ich erwartet habe – aber immer noch absolut OK – finde ich!!
30.05.2015
Es regent die ganze Nacht hindurch – bis etwas 04.00 Uhr. Das stresst mich, weil ich das Zelt nicht nass einpacken möchte und mir nicht vorstellen kann, dass ich es im Guesthouse in Istanbul aufstellen und trocknen lassen kann. Nun, es hilft nichts. Wenn das Zelt nass ist, ist es nass – und ich kann mich überzeugen, die 3.5 Stunden bis 07.30 besser zu schlafen, als mir über das nasse Zelt Gedanken zu machen.
Um 07.30 Uhr ziehe ich also meine feuchten Velokleider an – weniger unangenehm als befürchtet und pelle mich aus dem Zelt. Feuchtigkeit liegt in der Luft – was noch nicht nass ist, ist feucht. So packe ich dann halt zusammen. Es fährt ein Mercedescabrio mit D-Kennzeichen vor. Es steigt ein älteres „traditionelles“ türkisches Ehepaar aus. Sie richtet ihr Kopftuch und zieht einige Wolldecken aus dem Auto. Er schlurft zum Tisch bei der Campingzone des Rastplatzes. Sie legt die Decken auf dem Tisch aus, er legt sich hin, sie deckt ihn zu – wie ein kleines Kind. Dann setzt sie sich neben den Tisch und hält Wache. Ich trau meinen Augen nicht. Er erholt sich offenbar von der langen Fahrt...
Ich radle weiter – habe keine nennenswerten Erlebnisse heute. Ausser dass ich froh bin, auf einer Raststätte ein Zimmer gefunden zu haben nach 120 Kilometer. Ich wollte mein Zelt schon an der Böschung der Autobahn aufbauen – habe mir dann aber gesagt: Das kannst Du immer noch tun. Nun fährst Du noch maximal 30 Minuten und schaust, ob es einen Ort zum Übernachten gibt - sonst camptest Du! Wasser und Food habe ich genug dabei - Wasser auch, um mich zu "duschen" - aus der PET-Flasche - froh zu sein bedarf es wenig... Das Zimmer hier hat den grossen Vorteil, dass ich mein Zelt im Zimmer aufstellen und den Schalfsack ausbreiten konnte. So kann beides gut trockenen – und ich kann es im Guesthouse in Istanbul problemlos in meinem Gepäck verstaut lassen.
Ich bin nun 45 Kilometer vor Istanbul – morgen Abend werde ich also in Istanbul ein verspätetes Jubiläumsapéro geniessen. Heute bin ich nämlich vier Wochen unterwegs.
Liebe Grüsse in die Welt hinaus
Patrik Kirtap
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