WACHGERÜTTELT - DIE ERDE BEBT...!!!

Liebe Alle

 

VORAB: KARIN, FRITZ UND ICH SIND OK!!

Am frühen Morgen des 04. Januar 2016 wurde ich irgendwann nach 04.00 Uhr aus dem Tiefschlaf wachgerüttelt – ich raffte erst gar nicht, was los war – doch dann realisierte ich:

DAS MUSS EIN E R D B E B E N SEIN...

SCHEISSE, NIX WIE RAUS HIER!!!

DOCH WO BIN ICH ÜBERHAUPT...???

Ich war so durcheinander, verwirrt, schlaftrunken, dass ich mich im dunklen Zimmer – Stromausfall!! – nicht orientieren konnte!! Das Gehen im Zimmer fiel mir schwer, so sehr wackelt es im 5ten Stock unseres Hotels, wo unsere Zimmer liegen. Doch ich realisierte auch gar nicht wo ich war – ich hatte keine Ahnung, in welcher Stadt, in welchem Hotel ich war. Dieses Gefühl hatte ich auf der Reise ja öfters, wenn ich am Morgen erwachte: Wo bin ich? Doch wenn die Erde bebt und ich nur noch aus dem Haus will, ist diese Orientierungslosigkeit besonders beängstigend – unbeschreiblich beängstigend!! Ich fand eine Türe – merkte, dass ich im Badezimmer stand – also weiter der Wand entlang zur nächsten Türe – stand im dunklen Flur – scheisse, wo geht es hier raus – keine Notbeleuchtung, wo bin ich...???!???

Dann kam ein einheimischer Gast mit Taschenlampe und meint zu mir, ich soll das Gebäude verlassen – gute Idee!! - nur brauche ich noch gewisse Dinge aus dem Zimmer - HILFE!! - er nahm sich die Zeit, kurz in mein Zimmer zu leuchten, damit ich die Stirnlampe finden konnte... Ich schnappte mir, was ich als „fluchtrelevant“ einstufte: Meinen Seelenwärmer (Schal, den ich von meinem Gschbusi mit auf die Reise bekommen habe), meinen Pass, meine Jacke, mein Handy, meine Kleider, mein MacBook mit all meinen Fotos, den Geldbeutel mit meinem indischen Geld – und meine Rolle Klopapier, weil solches so schwierig zu bekommen ist hier in Indien und ich merkte, dass ich mal muss – aber erst auf der Strasse...! Dann raus auf den Flur, wo ich auch Karin und Fritz treffe – mich freue, dass auch sie OK sind -  und nichts wie runter über die Treppe – ich leuchte uns mit der Stirnlampe den Weg - im Herrjesses landen wir im Kellergeschoss, wo das grosse Rolltor zur Strasse geschlossen ist – also wieder einen Stock hoch – quer durchs Gebäude und auf der Vorderseite auf die Strasse, wo ich mich dann auch anziehe – geflüchtet bin ich in TShirt und Boxershorts, meinem Pyjama... Da merke ich, dass ich zwar drei TShirts mitgenommen habe – aber keine Hose – dafür Klopapier – man muss Prioritäten setzen im Leben....

Kreditkarten und Fremdwährungen sind auch noch im Zimmer, welches ich aber abgeschlossen habe - Ordnung muss ein!

Hm – so sitze ich halt in der Unterhose auf dem Bordstein und fröstle vor mich hin und bin froh, dass wir alle heil auf der Strasse sind – und nehme langsam aber sicher wahr: Es muss ein heftiges Beben gewesen sein, Karin und Fritz haben das auch so wahrgenommen, auch sie sind ohne Taschenlampe im Licht des Handydisplays durch ihr Zimmer geirrt...

Es kommen immer mehr Leute auf die Strasse aus den umliegenden Häusern und aus unserem Hotel – ich nehme keine Panik wahr – aber eine gespenstige Ruhe. Kein Autoverkehr, kein Gehupe, keine Sirenen – Ruhe. Einige Zeit später dann doch eine Sirene – die Feuerwehr kommt zur Bankfiliale, welche einige Meter neben dem Hotel liegt (die Filiale bleibt heute wegen Stromausfall geschlossen, wir wollten Dollars für Myanmar beschaffen...).

Die Locals telefonieren alle mit dem Handy – ich schalte meinen Hotspot ein, wir kriegen Internet. Karin kann ihre Angehörigen per WhatsApp informieren und ich meine per SMS, dass es uns gut geht. Das war uns wichtig, weil wir ja nicht wussten, welche Meldungen Ihr in Europa über das Beben bekommen werdet, selber können wir auch schon erste Meldungen/News lesen, dass es sich um ein starkes Beben gehandelt haben soll – unglaublich, wie schnell solche Meldungen im WWW sind...

Wir harrten eine gute Stunde vor dem Hotel aus - ohne Hose fröstelte ich vor mich hin und so habe ich dann im Verlauf der Wartezeit entschieden, mal von unten in mein Langarmshirt zu steigen und die Arme des Shirts als Hosenbeine zu nutzen – sah total bescheuert aus, wärmt aber sehr angenehm... – und das brauchte ich mehr, als gutes Aussehen... Mein Seelenwärmerhalstuch diente als Gürtel... Dann wagten wir uns nach einer guten Stunde zurück ins Zimmer. Zwischenzeitlich haben wir vom Hotelpersonal erfahren, dass es hier in der Gegend pro Jahr vier bis fünf Erdbeben geben würde – jedoch kaum je so heftige, wie das von heute Morgen – also auch die Locals haben das Beben als heftig wahrgenommen....

Auf dem Weg über die Treppe in den 5ten Stock zurück habe ich den Eindruck, das Haus sei in Schieflage geraten – ob das so ist oder nicht, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen...

Trotz des heftigen Bebens funktionierte das WiFi und die Handykommunikation uneingeschränkt und ich war sehr froh, auf www.kritap.ch schnell posten zu können, dass es Karin, Fritz und mir gut geht! Und wie ich aus E-Mails erfahren habe, waren heute Morgen in Europa meine Blogleser auch froh, zu lesen, dass es uns gut geht...

Im Zimmer packte ich dann mein Notfallgepäck, falls wir das Hotel nochmals verlassen müssten – und legte mir auch meine Hose so hin, dass ich sie schnappen könnte, falls... Es gab kein spürbares Nachbeben mehr... Doch richtig schlafen konnte ich bis zum Frühstück um 09.00 Uhr dennoch nicht mehr...!

Als ich dann heute Morgen mein Badezimmer wieder nutzen wollte sah ich, dass zwei grosse Kacheln runtergefallen sind. Hätte ich zur Zeit des Bebens auf dem Klo gesessen, hätte das dumm ausgehen können...

Beim Frühstück heute Morgen lesen wir dann online die Pressemeldungen aus Europa. Die kann ich aus meiner subjektiven Wahrnehmung so nicht vollumfänglich bestätigen. Wir sehen in der Innenstadt Imphals, da wo sich unser Hotel befindet, keine eingestürzten Häuser. Wir sehen Häuser mit Rissen, heruntergefallene Gebäudeteile und die grosse Markthalle, die abgesperrt ist, weil sich da offenbar Risse in Wänden und Säulen ergeben haben durch das Beben. Auch kann ich nicht bestätigen, dass die Telefonverbindungen nach Imphal unterbrochen waren – Handynetz und WWW funktionierten an unserem Standort durchgehend. Doch ich habe mir keinen Überblick über die Gesamtsituation verschaffen können.

Wie auch immer: Es ist einmal mehr tragisch, dass ein Erdbeben Verwüstung angerichtet und Menschenleben gefordert hat. Froh bin ich, dass das Ausmass offenbar weit geringer ist, als es nach dem Beben im Frühling 2015 in Nepal war.

Heute Morgen haben wir dann – wie bereits gestern geplant – unsere Veloschuhe zum Schuhmacher gebracht, den Frauenmarkt besucht und Haferflocken gesucht für das Müeslifrühstück, wenn wir dann wieder mit dem Velo unterwegs sind. Wir planen ja, in den nächsten Tagen in Imphal abzureisen und auf einem Umweg an die Grenze zu Myanmar zu fahren – denn es ist nicht so spannend, hier in Imphal abzuhängen...

Der Frauenmarkt ist ein Markt wo Frauen ihre Stände betreiben und von getrocknetem Fisch über Eisenwaren, Kleider, Schuhen, Schmuck, Gemüse und, und ganz vieles anbieten – auch eine „Fresszeile“ gibt es, wo wir frittiertes Gemüse und leckeren Tee zum zweiten Frühstück oder Mittagessen geniessen und uns von den Farben und Lebendigkeit des Marktes beeindrucken lassen. Der Markt liegt direkt neben unserem Hotel – nichts lässt darauf schliessen, dass hier vor einigen Stunden noch die Erde gebebt hat und es in der Stadt auch eingefallene Häuser und Tote gegeben haben soll.

Ich muss mein Zimmer noch wechseln, damit die Handwerker das Bad in meinem alten Zimmer reparieren können – und die Handwerker stehen schon kurze Zeit nach meinem Umzug im Einsatz – wir staunen, wie schnell gewisse Dinge in Indien gehen können...

Tja, so schnell verändert sich die Welt – innert Sekunden kann alles ganz anders sein...

So schnell könnte mir – im wahrsten Sinne des Wortes – die Decke auf den Kopf fallen.

Einmal mehr hat das Übergeordnete sehr gut zu mir geschaut – demütig sage ich DANKE!!

Eindrücklich für mich war schon zu erleben, wie heftig solche Erdstösse sein können und wie verwirrend es ist, so aus dem Tiefschlaf gerüttelt zu werden – und wie beängstigend die Orientierungslosigkeit ist, wie hilflos sie mich machte...!! Ich kann nun sehr viel besser nachvollziehen, weshalb Menschen in solchen Situationen Entscheide treffen, die für Dritte nicht nachvollziehbar sind – bin ich froh, konnte ich dennoch kühlen Kopf bewahren und bin ich dem Gast mit Taschenlampe begegnet.  Ein wirklich doofes Gefühl zu realisieren, dass ich ein Gebäude verlassen muss und gleichzeitig zu realisieren „Ich habe KEINE Idee, NICHT DEN HAUCH EINES SCHIMMERS wo ich bin – weder in welcher Ortschaft, noch in welchem Gebäude, in welchem Stockwerk, wo ist der Ausgang, wo die Treppe“ – möchte ich nicht mehr erleben müssen...!!

Das Hotel ist übrigens nicht auf solche Ereignisse vorbereitet – es gibt keinen Sammelplatz für die Gäste – niemand hätte gewusst, wer im Haus ist oder wer das Haus verlassen hat, wäre es eingestürzt – das ist dann wieder die andere Seite der indischen Organisation – aber das Hotel ist nicht eingestürzt und das ist gut so!! Eine Notbeleutung existiert auch nicht...

Ich bin sehr glücklich und dankbar, dass wir das Beben so schadlos überstanden haben – und dadurch einzig um eine intensive Erfahrung reicher wurden – im Wissen darum, dass andere Menschen vieles verloren haben... Demut...

Im Verlauf des Tages erreicht mich auch eine E-Mail von zwei Radreisenden, welche hinter uns unterwegs sind. Sie konnten die Grenze zu Manipur nicht passieren, weil man seit dem 01.01.2016 offenbar dafür ein Permit braucht - da sind wir grad nochmals reingerutscht - hoffen nun, dass wir Dank des Einreisestempels im Pass auch problemlos "rausrutschen"...

Nachdenklich freudige Grüsse in die Welt hinaus...

Patrik

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Kommentare: 2
  • #1

    Verena Z. (Montag, 04 Januar 2016 14:12)

    Vielen Dank für die Rückmeldung, dass es euch drei Reisenden gut geht!!!!! Das Beben wurde mit 6.3 angegeben und das ist schon gewaltig...... Die Schutzengel waren glücklicherweise mit euch und sollen euch auch weiterhin beschützen. Gute Weiterfahrt!

  • #2

    Pierre Bue (Montag, 04 Januar 2016 14:12)

    Tja Patrick, dann sind wir ja beide "Erdbebenerprobt".
    7. Septemeber 2007, Taipei, Hotel, 10. Stock, Magnitude 6.4 ,
    mei das hat gewackelt - und schiss han ich au übercho. Als ich aus dem Hotel gerannt bin meinte der Portier gehe ruhig wieder ins Bett, das ist normal in Taiwan...
    Das Problem ist es dann nur den Körper wieder auf Schlafmodus umzustellen, denn wenn der Blutdruck oben und genug Adrenalin im Blut ist, ist es mit dem Einschlafen so eine Sache.
    "Also an was Schönes denken und bloß nicht an ein Erdbeben"
    Grüsse Pierre

 

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