Di
31
Mai
2016
Liebe Alle
Je näher ich heute Sospel, meinem Etappenziel kam, je klarer wurde mir: Eigentlich ist der Sommer nicht mehr weit, hier in Frankreich - uneigentlich scheint er Frankreich aber kurzfristig abhanden zu kommen... Doch alles der Reihe nach...!
Heute Morgen staunte ich mal wieder über die Organisation im Hostel: Um 08.00 Uhr gab es beim Frühstück schon keine Milch mehr. Man habe nicht damit gerechnet, dass beim Frühstück heute Morgen so viel Milch gebraucht werde, erklärt das Personal ganz ruhig - und NEIN - man habe keine Milch am Lager...
Ja, es ist wohl völlig überraschend, dass der Milchkonsum beim Frühstück steigt, wenn eine Gruppe von über 50 jungen Gästen, die gestern Nachmittag angekommen ist, heute Morgen zum frühen Frühstück kommt. Und Milch ist ja auch ein Artikel, der wirklich nur sehr schwer gelagert werden kann, wie wir alle wissen...
Wie Ihr seht: Die Welt ist voller Überraschungen - selbst für das Personal des Hostels in Nizza.
Nicht überraschend, dass meine Bösartigkeit in solchen Situationen weiterhin mindestens durchschimmert - manchmal auch durchbricht...
Beim Frühstück tausche ich mich mit einem längst pensionierten Velofahrer aus Belgien aus. Konkret stammt er aus Flamen. Er findet aber, Belgien sei Belgien und der Streit zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen sei einfach nur doof!
Er radelt seine Touren durch Europa und strahlt wie ein Marienkäfer, wenn er davon erzählt. Nun ist er auf dem Weg nach Narbonne - ich hoffe für ihn, dass mein ehemaliger Gegenwind sein zukünftiger Rückenwind sein wird!
Dann ab auf's Velo. Den Weg nach Menton kenne ich ja bestens - einfach umgekehrt fahren, als in der Vergangenheit...
Blauer Himmel, die Sonne strahlt, das Meer kitschig blau - ein wundervoller Tag, um dem Meer entlang via Monaco - meinem letzten Land auf der Reise - nach Menton und von dort nach Sospel zu radeln.
Ich geniesse die Fahrt entlang des Meeres - auch wenn die Strassen zum Teil sehr eng sind. Doch die Autofahrer erlebe ich als äusserst rücksichtsvoll!! Wenig Verkehr! Einzig bei einem Ferrarifahrer scheint die Leistungsfähigkeit seines Hirns im reziproken Verhältnis zur Leistungsfähigkeit seines Boliden zu stehen: Er kann es kaum erwarten, mich mit Getöse zu überholen - trotz Gegenverkehr. Aber der drückt so auf die Tube, dass der Motor kurz aufheult und dann ist er auch schon wieder auf der richtigen Fahrbahn und so gut wie über alle Berge... Gefährdert hat er mich nicht - höchstens sich selber und den Gegenverkehr...
Ich staune immer und immer wieder über die prunkvollen Villen, welche hier in Südfrankreich stehen... Hier wohnen also viele Schöne und/oder vor allem Reiche... Daheim werde ich wieder Lotto spielen...!!
Monaco und Monte Carlo erreiche ich problemlos. DAS 24ste LAND AUF MEINER REISE... Vom Formel1-Irrsinn ist nichts mehr zu erkennen auf der Route, auf welcher der Verkehr geführt. Ich habe verschiedene Tunnels zu passieren (etwa auch den Tunnel, durch den die Formel1 raste??) - und schon bin ich wieder in Frankreich. Monaco ist nicht wirklich ein Reiseziel für mich. OK - man "muss" es wohl mal gesehen haben - aber Hochhäuser sind halt Hochhäuser - imposant auch die Yachten, die hier ankern - auch fast Hochhäuser... Und die vielen Luxusautos - Ferrari, Bentley, Rolls-Royce - was das Herz begehrt...
Mit Andorra und Monaco habe ich zwei Zwergstaaten besucht auf meiner Reise. Ich möchte die übrigen europäischen Zwergstaaten dann auch mal noch mit Passpartu anradeln - ein neues Reiseprojekt. Einzig mit Malta wird das etwas schwieriger - vielleicht lernt Passpartu ja mal noch schwimmen...
Menton erreiche ich zur Mittagszeit. Überlege mir, ob ich am Strand Moules essen soll - doch das ist nicht stimmig - ist normalerweise meine "Ankunftsmahlzeit" wenn ich von Norden her über die Route des Grandes Alpes fahre - und so soll es auch bleiben! So entschliesse ich mich, mal wieder bei MacDonalds einen Happen "zu essen" - und dort über das FreeWiFi einen Newsletter abzusetzen mit dem Foto aus Monaco...
Später versuche ich im Office du Tourisme in Menton noch die Karte der Route des Grandes Alpes zu bekommen. Diese gibt es in GROSS nicht mehr, nur noch in einer Miniausgabe, die ich ohne Brille definitiv nicht mehr lesen kann. Fies: Als ich noch gut gesehen habe und ohne Brille lesen konnte (ich erinnere mich an diese tollen Zeiten...), gab es die Karte in GROSS - nun, wo ich eine Brille brauche, gibt es die Karte nur noch in klein... Auch das Carnet, in welchem man die Stempel der Verkehrsbüros entlang der Route sammeln konnte um die volle Stempelkarte dann gegen ein Diplom eintauschen zu können, ist in Menton nicht verfügbar.... Schade... Wollte dieses Stemplsammlerei eigentlich als "Hobby" unterwegs aufnehmen...
Dafür in der Mittagspause noch ein schönes Telefongespräch mit meinem Gschbusi - der Countdown zum Wiedersehen läuft... - spannend, so nach fast 15 Monaten...
Mein Blick Richtung Norden zeigt mir: Das Wetter in den Bergen hinter Menton ist nicht prickelnd... Der Wetterbericht hat auch nicht wirklich prickelndes Wetter versprochen... Für mich müsste er einmal nicht halten, was er versprochen hat, der Wetterbericht...
Dennoch entscheide ich mich, den ersten Pass der Route des Grandes Alpes unter die Räder zu nehmen - es war nicht stimmig, in Menton zu bleiben...
Der erste Pass auf der Route des Grandes Alpes ist ja nicht ein wirklicher Pass im Vergleich zu den Pässen, die noch auf mich warten - und doch warten 706 "echte" Höhenmeter auf mich. "Echte" Höhenmeter, weil ich halt von NULL aus starte - ab Meereshöhe. Den Pass knacke ich locker. Witzig, hier hinter Menton am Pass arbeiten zu müssen, wenn ich diesen normalerweise aus Richtung Norden kommend als letzten Pass erlebe und es ab der Passhöhe runter ans Meer einfach sausen lassen kann - nun arbeite ich mich zur Passhöhe hoch - verkehrte Welt...
Auf der Passhöhe erkenne ich, dass es in Sospel - meinem Tagesziel - wohl regnet - Donnergrollen bestätigt mir den optischen Eindruck auch akustisch...
Als ich in Sospel einrolle, beginnt es richtig zu regnen. Ich verabschiede mich ganz schnell von meinen Plänen, hier zu campieren. Im Office du Tourisme empfiehlt mir die nette Dame die günstigste Herberge im Ort - doch die erklären mir druch die Gegensprechanlage, sie wären ausgebucht, was einigermassen erstaunt. Nun bleiben nur noch die teuren Hotels, was mir gar nicht in den Kram und schon gar nicht ins Budget passt...!
Ein Passant führt mich zu einem Gîte - versteckt in den engen Gassen Sospels in einer Privatwohnung. Beim Hauseingang erklärt eine Nachbarin, sie wisse nicht, ob das Gîte noch in Betrieb sei, der Mann sei vor einigen Wochen gestorben - ob seine Frau das Gîte nun alleine betreibe, wisse sie nicht. Ich versuche es und werde von der Frau freundlich empfangen - staune aber über den Preis des an und für sich schönen Zimmers, welcher mit dem der teuren Hotels im Ort durchaus mithalten kann. Discount gewährt mir die Dame des Hauses keinen! OK, lieber drücke ich diese Euros der privaten Gastgeberin in die Finger - zumal ich an meinen letzten Aufenthalt im Hotel in Sospel nicht so gute Erinnerungen habe, als sich der Preis, der mir im Office du Tourisme genannt wurde, rechtfertigen würde. So steige ich hier ab. Die Wohnung verfügt über verschiedene Gastzimmer. Alle haben nur ganz kleine Fenster. Erstaunlich, dass so viele Menschen mit so wenig Tageslicht leben. Habe ich auf meiner Fahrt ab Lissabon immer wieder erlebt... Vielleicht brauche ich so viel Licht, weil ich so viel Zeit im Freien verbracht habe???
Wie auch immer. Ich freue mich über mein Einzelzimmer, eine richtig schöne warme Dusche und die Gelegenheit, meine Sachen wieder ordnen und meine elektronsichen Geräte wieder gut und sicher laden zu können...
Nach der Dusche mache ich mich auf ins Dörfchen. Sitze aktuell im Bistrot du Marché und freue mich an der Gastfreundschaft hier und dem guten WiFi. Starker Regen und scheuer, kurzer Sonnenschein wechseln sich ab - doch die Einheimischen wollen am Wetter der kommenden Tag kein gutes Haar lassen...
Wenn der Sommer nicht mehr weit ist... Dieses Lied von Konstantin Wecker ging mir heute im Aufstieg durch den Kopf. Der Sommer kann nicht mehr weit sein, es ist ja schon ganz bald Juni - und doch ist er eben noch nicht richtig da - oder schon wieder weg... Aber nur so gut wie, aber eben nur fast wie...
Geniessen war noch nie ein leichtes Spiel singt Wecker in seinem Lied - er weiss ja, wovon er singt.... Tja, ich werde mal schauen, wie weit ich die Fahrt über die kommenden Pässe bei diesem "Wenn-der-Sommer-nicht-mehr-weit-ist-Wetter" geniessen mag - geniessen war noch nie ein leichtes Spiel... Morgen muss ich weiter - Wetter hin oder her - es ist zu teuer, hier Regenwetter aussitzen zu sollen...
Herzlich in die Welt hinaus. Morgen wartet mein Lieblingspass auf mich: Der Col de Turini. Die Strassenführung ist da einfach genial. Die Serpentinen sind eng an den Hang gelegt - speziell. Aus meiner Sicht: Ein wahres Meisterwerk der Strassenbaukunst! Zur Passhöhe 20 Km und gute 1400 Höhenmeter - also eher "steil". Auf der Passhöhe gibt es aber verschiedene Unterkünfte - und sollte da alles besetzt sein, lasse ich mich einfach hinter der Passhöhe runter rollen, bis eine Bleibe oder ein Camping kommt - je nach je - je nach Wetter - das Leben ist voller Überraschungen - nicht nur im Hostel in Nizza...
Patrik Kirtap